Gebt uns Brot, aber auch Rosen

Eugen Brand

Traduction de Celin Fässler, Melita Kadiric, Sarah Schiller et Patrick Seiler

Traduit de :
Faim de pain, faim de roses

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Eugen Brand, « Gebt uns Brot, aber auch Rosen », Revue Quart Monde [En ligne], 207 | 2008/3, mis en ligne le 01 mars 2009, consulté le 19 avril 2024. URL : https://www.revue-quartmonde.org/8402

Die Welt hat die jüngsten Hungeraufstände beinahe vergessen. Und dennoch bleibt Hungersnot ein Problem und beschäftigt uns. Wie immer waren die Aufständischen nicht die Hungernden selber, sondern Menschen, die in Armut leben und in dieser Nahrungsmittelkrise sehen, wie nahe sie am Abgrund zu grosser Armut und Hunger stehen. Diejenigen, deren Familien bereits um das tägliche Überleben kämpfen müssen, schaffen es selten, sich zu den Märschen zusammenzufinden. Von Zeit zu Zeit können sie an einer Demonstration teilnehmen, aber nur auf die Gefahr hin, den Verdienst von kleineren Arbeiten zu verlieren und sich Repressalien oder Geldstrafen auszusetzen. Die Eltern, die ihre Kinder aufgrund von Unterernährung zugrunde gehen sehen, versinken häufig in Scham- und Schuldgefühlen und hüllen sich in Schweigen. Sie wagen es nicht, die Welt wegen Gleichgültigkeit gegenüber den Menschenrechten anzuklagen. Als im letzten Jahr auf einer Insel in der Nähe der afrikanischen Küste ein zweijähriger Junge starb, der wegen Unterernährung zu geschwächt war, um gegen die Tuberkulose anzukämpfen, löste dies keinen Aufstand aus. Als ein fünfjähriges Mädchen an Unterernährung neben derselben Mülldeponie starb, die schon immer das einzige Zuhause und die einzige Einnahmequelle der Familie gewesen war, gab es keine Märsche, an denen skandiert wurde: „Nie wieder!“.

Statt an Protesten teilzunehmen, müssen sich die betroffenen Familien allzu oft von den Gemeinschaftsführern sagen lassen, dass sie entweder etwas an ihrer Situation ändern oder sie akzeptieren sollen: „Ihr wärt besser nicht in diese Elendsviertel gezogen, wir wollen diese Zone wirklich säubern.“ „Wenn ihr doch nur unsere Instruktionen befolgen würdet, müssten eure Kinder nicht unter solchen Umständen leben.“ „Wie könnt ihr euch einbilden, dass ihr in der Lage seid, eure Kinder selbst aufzuziehen? Menschen wie ihr sollten sie lieber in die Obhut eines Waisenhauses geben.“ „Ihr glaubt, nicht viel zu besitzen, aber glaubt mir, es könnte noch schlimmer sein.“ Eine betroffene Mutter antwortete mit einer Gegenfrage: „Wie lange noch wollen uns andere Leute über unser eigenes Leben aufklären? Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr wir uns abrackern müssen, um zu überleben.“

Das Thema Ernährungssicherheit steht gegenwärtig ganz oben auf der internationalen Agenda. Wem wenden wir uns nun zu, um Lösungen zu finden? Die politischen Entscheidungsträger spielen bei der Senkung der Lebenshaltungskosten eine wichtige Rolle. Die Wirtschaftsexperten geben jedoch zu, die Krise nicht vorhergesehen zu haben. Denn die Indikatoren, die sie benutzen, sind zu wenig auf die Situation der Schwächsten bezogen. Wenn wir dem Hunger wirklich einen Riegel vorschieben wollen, müssen wir weiter gehen. In jeder Gemeinschaft gibt es Menschen, die von keinem Hilfs- oder Entwicklungsprogramm erreicht werden. Nur jene, die den täglichen Kampf ums Überleben kennen, wissen um die Hindernisse, die es zu bewältigen gilt. Sie sehen auch die zahlreichen Gesten der Solidarität unter den Armutsbetroffenen, die oft unbeachtet bleiben. Um die Entwicklung nachhaltig zu gestalten, muss diese in den täglichen Bemühungen verankert sein und darf nicht ignoriert werden.

Pater Joseph Wresinski, Gründer von ATD Vierte Welt, sagte einmal: "Die Armen sind die Erfinder, die eigentliche Quelle aller Ideale der Menschheit, denn durch Ungerechtigkeit hat die Menschheit Gerechtigkeit gelernt, durch Hass Liebe, durch Tyrannei Gleichheit aller Menschen." Und dennoch ist es nicht leicht, einen echten Dialog mit denjenigen zu führen, die im Elend leben. Sie wurden zu oft ignoriert, verachtet und verurteilt, um der Aussenwelt trauen zu können. Die Schaffung eines Rahmens von Menschenwürde und gegenseitigem Respekt erfordert ein langfristiges Engagement von ihrer Seite. Doch selbst wenn dieser Rahmen schon geschaffen wurde, fehlen in der Welt Orte, an denen mit Menschen, die in grosser Armut leben, geredet werden kann, mit ihnen statt nur von ihnen. Hier könnte die Art und Weise, wie Weltressourcen verteilt werden, überdacht und eine Weltpolitik auf der Grundlage der Rechte betrieben werden. Denn genauso, wie die Nahrungsmittelkrise mit verschiedenen Problemen im Zusammenhang steht, ist auch der Hunger mit den Problemen der Bildung, der angemessenen Arbeit, des anständigen Wohnraums und der Achtung des Familienlebens eng verknüpft.

Wer wird sich dafür einsetzen, einen Dialog mit Frauen, Männern und Jugendlichen zu führen, die schon seit jeher Hunger leiden?

Bis weltweit längerfristige Lösungen gefunden werden, bleiben die humanitären Interventionen auf jeden Fall weiterhin notwendig. Wir müssen jedoch sicherstellen, dass diese Interventionen nicht nur den Hunger bekämpfen, sondern auch weiter reichende Bedürfnisse jedes Menschen berücksichtigen: Das Bedürfnis nach Schönheit und den Wunsch, die Zukunft gestalten zu können. „Und wenn ein Leben mehr ist als nur Arbeit, Schweiss und Bauch, wollen wir mehr: Gebt uns das Brot, doch gebt die Rosen auch.“ Diese Worte aus dem Gedicht von James Oppenheim, geschrieben im Jahr 1910, haben seit langer Zeit die Arbeiterbewegungen inspiriert, die für eine bessere Lebensqualität kämpfen. Wie können nun heute die humanitären Konvois nicht nur Brot, sondern auch Rosen bringen? Wieso verbindet man die Nahrungsmittelhilfe nicht mit dem Versand von Büchern oder Investitionen in Schulen, Bibliotheken und kulturelle Gemeinschaftszentren? Jedes Kind, das heute eine Schulbildung erhält, erhöht die Möglichkeit des Fortschritts, sodass die kommenden Generationen weder Brot noch Rosen missen müssen.

Dieser Artikel von Eugen Brand erschien auf Englisch in der Maiausgabe des Civil Society Watch Monthly Bulletin.

Eugen Brand

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